Den Krieg mit Füssen treten

Ausstellung

Das Mart präsentiert in Zusammenarbeit mit CooperAction onlus im Haus der futuristischen Kunst/Casa d’arte futurista Depero die Ausstellung Calpestare la guerra/Den Krieg mit Füßen treten. Im Rahmen des anlässlich des 100. Jahrestags des ersten Weltkriegs ausgearbeiteten weitreichenden Kulturprogramms Mart/Erster Weltkrieg 1914 - 2014 präsentiert die von Nicoletta Boschiero und Edoardo Marino kuratierte Ausstellung einen Teil einer der europaweit größten Kriegsteppichsammlungen.
Das der Kreativität von Fortunato Depero gewidmete und von diesem als Ort der Begegnung und des Dialogs gewollte und so entstandene Museum stellt 50 aus Afghanistan kommende Kriegsteppiche aus, die ab 1979, dem Jahr der sowjetischen Invasion, erzeugt wurden. Seither lebt das afghanische Volk in einer ständigen Kriegssituation und hat die Erinnerung an die Öffnungen und Reformen der siebziger Jahre ausgelöscht. Dieser Krieg, auf den die Welt in abwechselnden Phasen schaut, wird von den Schussfäden und Knoten dieser traditionellen Teppiche erzählt, die von Mal zu Mal Instrumente der Propaganda, der Zelebration, des Widerstands und zum Erzählen tragischer Alltagsszenen werden.
Die Teppiche werden traditionell von Knüpfmeistern für den Hausgebrauch realisiert und stellen das kollektive Gedächtnis und die Kunst verschiedener Volksgruppen dar, die unorganisch die afghanische Bevölkerung ausmachen. Mit den Wollfäden wird in einem ungewöhnlichen Stelldichein zwischen antiken Traditionen und neuen Symbolen eine originelle Kunstbewegung geschaffen. Farben, Zeichen und verschiedene Folkloren vermischen sich und werden Manifeste für die Proselytenmacherei, lobpreisende Ikonografien, Zurschaustellung von Macht und, für ausländische Soldaten, Kriegssouvenirs oder –reliquien. Einige dieser Teppiche können als wahre konzeptuelle Kunstwerke bezeichnet werden, die unbewusst an die Bilder von Alighiero Boetti oder die Arbeit von Fortunato Depero erinnern.
Tragischerweise verflechtet sich die Erzählung des Kriegs mit Kunsttradition.
Von den ersten Teppichen, auf denen Hubschrauber und Gewaltszenen mit Ziermustern und traditionellen Ikonografien zusammenleben, wird bald beinahe nur mehr auf die Erzeugung von Kriegserzählungen übergegangen, auch infolge der Ermutigungen vonseiten der Mudschaheddin, die in den Teppichen eine Form des Protests und der Propaganda sehen. Kalaschnikows, Panzerwagen, Waffen und Handbomben sind die Themen der War Rugs. Das World Trade Center und die Mudschaheddin selbst werden zum Symbol des Widerstands und konstruieren neue Ikonografien, die den Krieg und den Dschihad lobpreisen.
In nur wenigen Jahrzehnten ist aus der afghanischen Teppichproduktion auf schmerzhafte Weise die bedeutsamste, wertvollste und historisch größte Kriegsteppichproduktion geworden. Sie verlassen den kleinen, ewig im Konflikt lebenden Staat vor allem Dank der Besetzer, zuerst der sowjetischen und dann der amerikanischen. In Europa wie in den Vereinigten Staaten werden sie von Kriegsveteranen, Sammlern, Händlern verkauft und gesammelt und haben sich zu einem wahren Business entwickelt. Der augenscheinliche künstlerische, historische und soziale Wert macht aus den Teppichen nicht nur kostbare Sammlerobjekte, sondern auch den Gegenstand von Untersuchungen und Ausstellungen in Galerien, Veranstaltungen und Museen, wie das Boca, das Museum of Art di Philadelphia, das den afghanischen War-Rugs erst jüngst eine Ausstellung gewidmet hat.
Zu den leidenschaftlichen Sammlern zählt seit Anfang der neunziger Jahren auch Edoardo Marino, der Co-Kurator der Ausstellung in Casa Depero und Experte der dekorativen Kunst sowie Sammler und Autor von "Guerre a tappeto. Storia dell'Afghanistan nelle trame dei tappeti di guerra" (Kriegsteppiche. Die Geschichte Afghanistans in den Geweben von Kriegsteppichen).
Marino erkennt die außergewöhnliche Bedeutung der afghanischen Kriegsteppichproduktion, die als Chronologie der Geschichte des Landes selbst angesehen werden können. Hieraus entsteht die Ausstellung Calpestare la guerra/Den Krieg mit Füßen treten, eine der weltweit bedeutsamsten Sammlungen mit von Sammlern, Händlern, Liebhabern, Importeuren orientalischer Teppiche von Kanada bis Deutschland und natürlich in Afghanistan zusammengetragenen Teppichen.
Calpestare la guerra/Den Krieg mit Füßen treten ist aber auch eine von der gemeinnützigen Organisation CooperAction durch das Veranstalten von Ausstellungen, Events und Dokumentarfilmen, Bücher und Abhandlungen voran getriebene Kampagne für Frieden und Menschenrechte, die auf die afghanische Situation aufmerksam und die Kondition der Frau stärken soll.
Viele der in den jüngsten Jahren realisierten Teppiche der Sammlung haben einen geringeren künstlerischen Wert und weisen Fertigungsfehler auf, da sie in den meisten Fällen von Kindern gewebt werden. Der Verband Associazione CooperAction unterstützt ein afghanisches Waisenhaus, in dem Kinder aufgenommen und erzogen werden.
Die Ausstellung in Casa Depero zeigt auch von Frauen und Kindern realisierte Friedenstücher mit Alltagsszenen, in denen der Krieg Normalzustand ist.
Gewaltszenen wechseln sich mit kindischen oder poetischen Äußerungen ab.

 

Quelle: www.mart.trento.it

 


Organisation: Mart Museo di arte moderna e contemporanea di Trento e Rovereto